Ein Plädoyer gegen Polarisierung

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Stellungnahme des DGA-Vorstands zu den geopolitischen Auswirkungen der Coronakrise und zur Rolle der modernen Asienwissenschaften

veröffentlicht: 2020-06-12

Seit etwa einem halben Jahr hält Covid19 und die damit verbundene Pandemie die Welt in Atem. Was mit Gerüchten aus China über ein neues und eigenartiges Coronavirus begann, wandelte sich schnell in eine Diskussion über systemische Faktoren seiner Verbreitung und zeigte bald darauf, wie wenig Regierungen unterschiedlichster politischer Systeme auf eine Herausforderung dieses Ausmaßes vorbereitet waren. All das geschah vor dem Hintergrund des Aufwinds, den Protektionismus und Nationalismus in den Jahren vor dem Ausbruch erlebten. Dieser Aufwind wurde auch durch die Verschlechterung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen verstärkt, welche sich der Welt in Form eines sogenannten Handelskriegs darbot. Und nun sehen wir uns im Sommer 2020 mit Spekulationen über eine De-Globalisierung, mit Vorschlägen zur Entkopplung von Ökonomien, mit Kalte-Kriegs-Szenarien und mit wachsendem Machtpoker in Asien konfrontiert.

Die Situation ist ernst und die Vorstandsmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde, einer Gesellschaft, die erfahrene Wissenschaftler*innen, Student*innen, und weitere Asienexpert*innen aus außeruniversitären Bereichen vereint, sind besorgt. Unsere Sorge betrifft zahlreiche Aspekte, insbesondere die folgenden:

  • Die öffentliche Betrachtung der aktuellen Entwicklungen fokussiert sehr auf die amerikanisch-chinesischen Beziehungen und trägt damit zu der Idee bei, dass Ländern und Unternehmen letztlich zwischen den beiden Parteien des Konfliktes wählen müssten. Kalte-Kriegs-Rhetorik und Entkopplungsphantasien werden kombiniert, als gäbe es keine Alternativen. Für viele Länder in Asien und Europa ist das in Anbetracht der über die letzten Jahrzehnte entstandenen komplexen globalen Wertschöpfungsketten aber keine vernünftige Wahl. Gleichzeitig konzentrieren sich Berechnungen der damit möglicherweise verbundenen Kosten und Nutzen meist auf eine geringe Auswahl von Ländern, wenn nicht nur auf die USA und China. In der Praxis wären die Folgen sehr viel weitreichender. Tatsächlich ist dieses Szenario aber nicht ohne Alternativen. Sofern andere Länder sich zusammentäten und gegen dieses Entweder-Oder-Narrativ angingen, könnten neue Optionen aufgezeigt werden.
  • Die Beschränkungen, die mit der Bekämpfung von Covid19 einhergehen, treffen den akademischen Austausch und die grenzüberschreitende (Feld-)Forschung hart. Das gefährdet nicht nur die Forschung als solche, sondern auch die Gespräche und persönlichen Beziehungen, die damit normalerweise einhergehen und die direkt und indirekt zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Digitale Lehre und die sogenannten sozialen Medien können die Anregungen nicht ersetzen, die sonst aus dem direkten intellektuellen Austausch und der persönlichen Erfahrung vor Ort entstehen. Leider werden diese Fragen bei den aktuellen Beschränkungen des studentischen und akademischen Austauschs oder Überlegungen zu Visaregelungen kaum beachtet. Manchen Ländern scheint das Coronavirus sogar als Ausrede für Beschränkungen der akademischen Kooperation entgegenzukommen.
  • In diesem Zusammenhang wird häufig die Bedeutung von akademischen Disziplinen jenseits der Naturwissenschaften, Medizin und Wirtschaftswissenschaften etc. vernachlässigt. Gerade die Covid19-Krise könnte Politiker*innen und Öffentlichkeit aber den Wert von – zum Beispiel – Asienwissenschaften verdeutlichen. Tatsächlich haben außerhalb Chinas Wissenschaftler*innen, die sich mit dem modernen Asien beschäftigen, als erste die Herausforderungen, die das Virus stellt, sowie die unterschiedlichen politischen Bewältigungsstrategien in Asien identifiziert (ebenso wie die Bedeutung der Schutzmasken). Dies geschah u.a. deswegen, weil sie ohnehin die Diskurse in den Ländern ihres Interesses verfolgen. Trotzdem ist es ihnen schwergefallen, für ihre Einsichten Aufmerksamkeit zu generieren.
  • Darüber hinaus wird die asienwissenschaftliche Gemeinschaft zunehmend selbst mit dem oben erwähnten Entweder-Oder-Narrativ konfrontiert. Von den Wissenschaftler*innen wird erwartet, dass sie sich positionieren, dass sie sich auf eine Seite schlagen. Der Versuch, in der aktuellen Situation neutral zu bleiben und Verständnis zu schaffen, statt zur Anheizung des Konfliktes beizutragen, wird ihnen entweder als Schwäche oder sogar als moralische Dekadenz ausgelegt. Wir akzeptieren es natürlich, wenn Wissenschaftler*innen sich im politischen Diskurs engagieren oder über ihre eigene Position zu kritischen Fragen unserer Zeit reflektieren. Wir wehren uns aber dagegen, dass Wissenschafler*innen angegriffen werden, weil sie bestimmte Positionen hinterfragen, hinter die Kulissen schauen oder Positionen beziehen, die dem „Mainstream“ entgegenstehen. Diese Dinge sind Teil dessen, was Wissenschaft ausmacht und sollten geschätzt werden. Virologen haben im Verlauf der Krise erfahren, wie ihre akademischen Diskurse in der Öffentlichkeit für Polarisierung missbraucht und sie persönlich angegriffen wurden. Leider beobachten wir, dass auch Asienwissenschaftler*innen Ähnliches erleben, wenn auch mit weniger medialer Begleitung.
  • Nicht zuletzt beobachten wir, dass der Diskurs über die Rolle, Erfahrungen und den Einfluss asiatischer Länder im Kontext der Pandemie, insbesondere der Diskurs über China, von Vertretern von Denkfabriken dominiert wird, die entweder durch die Parteien des dualen Konfliktes (mit-)finanziert werden oder wenig asienwissenschaftlichen Hintergrund haben. Während die universitären Wissenschaftler*innen mit der Aufgabe beschäftigt wurden, den Übergang zu digitaler Lehre aus dem Home Office heraus zu bewältigen, haben diese Denkfabriken in schnellem Tempo Berichte, Interviews und Prognosen produziert. Wir sprechen uns hiermit sicher nicht gegen die Arbeit von solchen Denkfabriken aus, wir möchten aber die Öffentlichkeit ermutigen, mehr Nutzen aus der unabhängigen Forschung und den Erkenntnissen der Wissenschaftler*innen zu ziehen, die unser öffentlich finanziertes Universitätswesen und andere politisch neutrale Forschungseinrichtungen hervorbringen.

Die Deutsche Gesellschaft für Asienkunde zählt es zu ihren Aufgaben, die in den Reihen ihrer Mitglieder vorhandene Expertise zu Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur in den Ländern Asiens sichtbarer zu machen. Regelmäßig erfolgt dies durch die Herausgabe der Fachzeitschrift ASIEN. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise listet und verlinkt die DGA ab sofort einschlägige Beiträge ihrer Mitarbeiter in Medien und Fachpublikationen gesondert auf der Webseite der Gesellschaft, um sie so leicht für die Öffentlichkeit zugängig zu machen: http://aktuell.asienforschung.de/stimmen-unserer-mitglieder-zur-coronavirus-krise/